Sonntag, 23. Oktober 2011

Franz Kafka - „Die Verwandlung“ (1)

Ein Stück verkannte Wirklichkeit
Ein persönlicher Standpunkt
Die Verwandlung von Franz Kafka ist eine viel und heiß diskutierte Erzählung, die es schafft, die Leserschaft zu polarisieren. Entweder wird sie in hohen Tönen gelobt oder sie wird stark getadelt. Es scheint ziemlich pauschal, Kafka als einen literarischen Niemand darzustellen und so liegt die Vermutung nahe, dass es jenen Menschen nicht schwer fällt, so schnell zu urteilen. Wie kann man erwarten, dass jene Prager Literatur dem gleicht, was die Moderne hervorbringt? Moderne Literatur entsteht manchmal nur aus der finanziellen Notwendigkeit heraus. Diesen Sachverhalt kann man bei Kafka von vornherein ausschließen, denn er hatte niemals vor, seine Werke zu vermarkten. Deswegen ist der Unterhaltungswert der kafkaesken Literatur auch ein ganz anderer als jener, der in modernen Thrillern vorzufinden ist. Dieser Stil zeichnet sich durch seine Dunkelheit und das Unheimliche aus. Man kann nie sicher sein, was als nächstes kommt. Außerdem schildert er sehr surreale Dinge bis ins Abstrakte, was seine Werke so besonders macht. Das Ungewisse und die Verwirrung, die Kafka hervorruft, machen das Verstehen schwer. Es stellt sich oft die Frage, wie er es meint und wie man es erfassen soll. Doch auf der anderen Seite hat man das Gefühl, ihn doch irgendwie verstehen zu können. Es ist ein sehr eigenartiges Gefühl, eben ein kafkaeskes. Der Grundgestus ist meist ein traurig-ironischer, durchmischt mit etwas Melancholie und Tiefsinnigkeit. Es ist auch schwierig zu beschreiben, was ihn so faszinierend macht. Vielleicht eine gewisse Aktualität der Inhalte oder die starke Bildhaftigkeit. Für mich ist es die Stimmung und die Art wie Kafka seine handelnden Personen umschreibt und handeln lässt. Man hat das Gefühl dabei zu sein und alles empfinden zu können, was auch Gregor fühlt. Mir persönlich fällt es schwer, Autoren untereinander zu vergleichen, sie gegeneinander aufzuwiegen und zu bewerten. Jeder Autor hat seinen eigenen Wert und die Meinung der Leser ist stark subjektiv. Der Autor ist also immer davon abhängig, wie sehr sich seine Leser mit dem Werk identifizieren können. Jemand, der überhaupt nichts mit Melancholie anfangen kann, hat es doch etwas schwerer, Kafka so zu verstehen, wie jemand, der selbst schon einmal in tiefe Melancholie versunken ist. Man kann nicht unbedingt behaupten, dass Kafkas Werke pessimistisch sind, aber zumindest haben sie doch, im Falle der „Verwandlung“, einen negativen Ausgang. Inwiefern der Tod Gregors negativ ist, bleibt dahingestellt. Doch ich sehe es mit geteilter Meinung. Gregor hatte es von Anfang an nicht leicht, denn er musste seine Familie versorgen und bekam dafür nicht wirklich Dankbarkeit. Sein Ausschluss aus dem Familienleben war gemein und verheerend, hatte er doch eine zerstörerische Wirkung auf das Seelenheil Gregors. Sein Ausweg war, entweder die Rückverwandlung oder der Tod. Letztlich war der Tod für ihn der einzige Ausweg, um sich zu schützen. Das scheint zunächst paradox, bei der Annahme, dass er tot sei und keines Schutzes mehr bedürfe, doch hätte er sich zurückverwandelt, hätte er sich weiterhin für seine Familie „versklavt“. So ist es einerseits eine Erlösung und andererseits ein tragischer Moment. Sein Weg in den Tod ist steiniger, doch der Tod selbst ist sanft und so wird dem Leser der Schock des plötzlichen Todes erspart. Diese Tatsache allein finde ich bewundernswert und faszinierend. Dieses Schicksal ist, meiner Meinung nach, nichts Unwirkliches, denn es gibt viele Menschen auf der Welt, die lange vor ihrem Tod sterben. Die Seele ist das größte Mysterium und nur schwer zu erforschen, doch ist sie unweigerlich der Antrieb des Menschen. Liegt doch in ihr die Hoffnung und das Glück. Wird die Seele angegriffen, so leidet der Mensch. In der „Verwandlung“ ist es Gregor, der sich ständigen Angriffen auf sein Seelenheil ausgesetzt sieht. Stück für Stück zerfällt seine Seele und letztlich auch sein Körper. Ein Stück Wirklichkeit, wie es uns Tag für Tag umgibt. So ist doch auch Kafka viel authentischer, als es ihm so mancher unterstellt. Man sollte die Auswahl der Bücher, die man liest, nicht nur nach dem Unterhaltungswert gestalten, sondern auch nach dem weniger unterhaltenden Büchern. Wenn der Leser sich also selbst fordern will, so sollte er diese Lektüre nicht unberührt lassen zumal sie doch unterhaltend ist. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen